Nachrichten aus dem Versandhandel

Selbstbau, Lizenz, "SaaS" - Versand-IT am Scheideweg?

von Redaktion Versandhausberater

23.05.2008 - Ein neues Fachwort bewegt die IT-Welt, und es heißt nicht Web 2.0. Das Akronym "SaaS" steht für "Software as a Service" und bedeutet nicht weniger, als dass der Nutzer keine Software-Lizenz mehr erwirbt, sondern lediglich Rechenleistung bezieht.
Für die Anbieter von Versandhandels-Systemen (und die Versender selbst) heißt das Umdenken. Ihr durchaus erfolgreiches und in hunderten von Installationen bewährtes Angebot lautet: Lizenzen vergeben, die Nutzer in eine Gemeinschaft einbinden und so gemeinsam die Software fortentwickeln.Ganz am Anfang stand freilich die selbst geschriebene Versandsoftware. Mit ihr hatten (und haben) Anbieter von Spezialanwendungen zu kämpfen, deren standardisierte Lösungen nur mit einigem Aufwand an die Schnittstellen "angeflanscht" werden können.
Eigenbau - noch immer eine Möglichkeit
Trotzdem hat auch die eigene Programmierung Vorzüge. Der Weinversender ebrosia etwa hat auf Basis von Sage eine eigene, nur für den Versender passende Lösung geschaffen. "Wir hatten Probleme mit der Flexibilität der Vorgängerlösung - unsere gewünschten Erweiterungen waren nur schwer integrierbar und der Code des Shops fast unwartbar.," begründet IT-Leiter Mathias Liber. "Dazu war die Technik des Shops, vor allem des Backends, alt und technisch überkommen. Ein weitergehender Betrieb, aber auch eine tiefgreifende Überarbeitung der bestehenden Software, erschienen unwirtschaftlich gegenüber einer neuen Lösung."
Die eigene Lösung erlaubt es, mit 10 % des Code-Umfangs die gleiche Leistung zu bringen oder zu übertreffen. Von dem saubereren HTML-Code profitiere auch der Kunde. Sage KHK wurde bereits seit mehr als 5 Jahren im Unternehmen genutzt. "Da eine zentrale Instanz wie eine Warenwirtschaft nur selten ausgewechselt wird, konnten wir dies auch als Basis des Webshops der nächsten Jahre kalkulieren."
ASP und SaaS - ein günstiger Einstieg?
ebrosia hat ein halbes Jahr in die Entwicklung und das "Bug-Fixing" investiert. Für Einsteiger bieten sich jedoch Lizenz-Angebote und Service-Varianten an. Anbieter wie MOS haben mit "Light"-Varianten günstige Basis-Versionen geschaffen. Denn Versandhandels-Software ist eine teure Angelegenheit.
Dennoch setzt auch die Firma Alea aus Jena zunächst auf das bewährte Prinzip. 17 Versandhändler haben sich bereits für Alea entschieden. Der jüngste Zugang ist zugleich der wohl gewichtigste: Tchibo direct wird das bisher genutzte MAC-System durch Alea ablösen.
Dennoch ist Entwicklungschef Frank Gessner davon überzeugt, dass "SaaS" eine Zukunft auch im Versandhandel hat: "Bisher spielt SaaS im Bereich der ERP- und Logistiksoftware für den Versandhandel kaum eine Rolle. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es in wenigen Jahren dafür einen Markt geben wird. ALEA hat die neue ERP- und Logistiksoftware Amc² von Anfang an so erstellt, dass damit auch ein SaaS-Modell betrieben werden kann."
In den Bereichen CRM und E-Commerce, so Gessner, seien es oft zunächst die kleineren Kunden gewesen, die SaaS-Angebote genutzt hätten. Ein solches Angebot ist z.B. "Commercetools ON Demand GRID". Die Plattform richtet sich an mittelständische Unternehmen, die einen individuellen, professionellen Onlineshop zu einem günstigen Preis betreiben möchten.
"Die IT-Kosten betragen bei einem klassischen Onlineshop zwischen 10 und 12 Prozent des Umsatz. Bei einem eCommerce-Angebot auf unserem ONDemand GRID liegen sie lediglich bei rund 6 Prozent. Unternehmen haben also hier die Möglichkeit, die IT-Kosten für ihre eCommerce-Lösung zu halbieren", rechnet Denis Werner, Gründer und Geschäftsführer von commercetools, vor. Für das Basispaket auf dem ON Demand GRID mit storemanager und search-Funktion, dem Marketingtool für Cross-Promotion sowie CSV-Export und Excel-Schnittstelle fallen lediglich 99 Cent pro Transaktion an.
SaaS ist kein "ASP 2.0"
Aber hat man solche Services nicht schon vor Jahren vergeblich als "ASP" andienen wollen? Gessner widerspricht:
"Beim ASP wird der Betrieb der eigenen Softwarelösung einem Dienstleister übertragen. In der Regel steht jedem Kunden eine eigene Plattform zur Verfügung, die vom Kunden bezahlt und vom ASP-Anbieter mitsamt der Software betrieben wird. Bei SaaS-Modell hingegen betreibt der Anbieter eine Plattform für alle Kunden, die diese nur nach Nutzung bezahlen. Die Kosten sind naturgemäß viel geringer, da neben der gemeinsam bezahlten Infrastruktur zum Beispiel bei Softwareupdates, Backup, Wartung, usw. die Arbeit nur einmal getätigt werden muss und nicht für jeden Kunden getrennt."
Sie haben die Wahl: Nutzen oder besitzen
Letztlich sind dies allerdings technische Argumente. Viele Versandhändler wollen "besitzen", weiß Johannes Klinger. Der Vorstandvorsitzende der websale AG konstatiert das ohne Groll, denn er sieht auch Bewegung in der Meinungsbildung. So akzeptieren Versandhändler bei den neuen Vertriebswegen viel schneller, dass sie den immer rascheren  Generationswechseln mit eigenen Lösungen nicht hinterherkommen. Ein paar Releases aussetzen - oder mieten. Mehr Lösungen gibt es oft nicht.
Ob Auktionen oder IPTV, der Versandhandel ändert sein Gesicht. Die Beschleunigung der Prozesse widerspricht alten Überzeugungen. Doch Versandhändler haben die Wahl, eine für sich passende Lösung zu finden.