Nachrichten aus dem Versandhandel
 (Bild: Brett Jordan via Unsplash)
Bild: Brett Jordan via Unsplash

Kampf der Lieferservices

17.02.2022 - Der Online-Lebensmittelhandel gehört zu den wachstumstärksten Branchen im E-Commerce. Das ist zum einen auf Corona und die Lockdowns zurückzuführen, zum anderen schießen findige Lieferdienste aktuell wie Pilze aus dem Boden - zumindest in Großstädten.

von Susan Rönisch

Nachdem die Deutschen dem Onlinekauf von Nahrung bisher eher skeptisch gegenüberstanden, scheint die Pandemie dem Lebensmittel-Onlinehandel zum Durchbruch verholfen zu haben. Mit der Pandemie brachen offenbar viele KonsumentInnen mit ihren Gewohnheiten und kauften immer häufiger Lebensmittel online.

Der Handelsreport Lebensmittel 2020 zeigt, dass in den Corona-Monaten die Bedeutung des Onlinekanals auch im Lebensmittelbereich rapide gestiegen ist. So nutzte in 2020 jede(r) siebte InternetnutzerIn einen der Onlinekanäle, in 2019 war es jede(r) neunte. Aber lediglich ein Bruchteil der InternetnutzerInnen kennt keinen Onlinehändler, bei dem der Wocheneinkauf getätigt werden kann. Gleichzeitig zeigt sich, dass die bestehenden und neu gewonnenen Online-LebensmittelkundInnen künftig noch viel mehr online bestellen werden. Das Online-Angebot der Hersteller ist in der Regel auf die eigenen Produkte und Marken ausgerichtet. Sortimentsübergreifend wird E-Commerce vor allem vom stationären Handel (EDEKA, REWE) und Händlern mit Online-DNA, allen voran Amazon, ent- und abgewickelt. Aber es treten immer mehr Anbieter in den Markt.

Der Trend, sich im Lockdown Essen oder Lebensmittel nach Hause bringen zu lassen, hat die Lieferservices stark wachsen lassen. In der ersten Jahreshälfte 2021 hatte Just Eat Takeaway mit seiner Deutschland-Tochter Lieferando noch kaum Konkurrenz und konnte den Umsatz in der Bundesrepublik um 76 Prozent auf 284 Millionen Euro ausbauen. Aber die Zahl der Wettbewerber in dem Geschäft steigt - zumindest rund um Städte. Das finnische Start-Up Wolt will ebenfalls von dem großen Lieferhype profitieren und bietet besonders ausgewählte Restaurants. Investoren steckten knapp 260 Millionen Euro in Wolt. Zuletzt ist die größte Lieferplattform der Vereinigten Staaten, DoorDash, nach Europa expandiert und startet in Stuttgart, nachdem das Unternehmen bereits in Australien, Kanada und Japan Fuß gefasst hat.

Parallel wachsen auch Lieferdienste wie HelloFresh kräftig. Das Prinzip dort: Kochboxen mit Zutaten fürs Mittagoder Abendessen für zu Hause vorportioniert zu verschicken. An sieben Tage der Woche von neun Uhr morgens und bis Mitternacht liefert Gorillas Lebensmittel in ausgewählten Großstädten. Teilweise verspricht das Unternehmen, bei kleineren Bestellungen innerhalb von zehn Minuten zu liefern. Aber auch größere Bestellungen sind möglich. Kosten: 1,80 Euro. Auch hier wächst die Konkurrenz und der Wettbewerb verschärft sich: Mit Getir, Knuspr oder Flink schießen immer neue Lebensmittelbringdienste aus dem Boden. Allein in Hamburg sind mittlerweile über 300 unterschiedliche Anbieter ansässig, die um die Gunst der KonsumentInnen buhlen. Das muss zwangsläufig in den kommenden Monaten zu einer Konsolidierung führen. Erster Hinweis auf eine Marktbereinigung dürfte das plötzliche Aus von Delivery Hero in Deutschland sein. Künftig wolle sich Delivery Hero auf "Wachstumsmöglichkeiten mit größerem Potenzial in anderen Märkten und Geschäften konzentrieren". Die Entscheidungen für den Rückzug aus Deutschland und Japan seien nicht leicht gefallen, sagte Vorstandschef Niklas Östberg. Es sei zunehmend schwieriger geworden, in den betroffenen Märkten echten Wert für die eigene Plattform zu schaffen. Östberg begründet den Schritt auch mit der scharfen Konkurrenz, nicht nur durch andere Essenslieferdienste wie Uber Eats, sondern auch stark wachsende Startups wie Flink und Gorillas. An letzterem ist Delivery Hero immerhin mit acht Prozent beteiligt.

Außerdem kommt es immer zu Negativ-Schlagzeilen über fragwürdige Arbeitsbedingungen in der Branche. Vor allem Lieferando muss sich immer wieder rechtfertigen. Nicht nur der Branchenriese kämpft gegen Vorwürfe aus seiner Belegschaft. Für große mediale Aufmerksamkeit sorgten zuletzt Angestellte des Berliner Start-Ups Gorillas. Sie klagen über befristete Arbeitsverträge, unverhältnismäßig lange Probezeiten, geringe Stundenlöhne, unpünktliche Gehälter, unangemessene Arbeitsausrüstung und Unfälle aufgrund von Witterungsbedingungen und des enormen Zeitdrucks. Ebenso geriet der Online-Getränkelieferdienst Flaschenpost in die Kritik. Allerdings scheint der Markt rund um die Lieferservices so attraktiv und vielversprechend, dass der Oetker-Konzern für den Getränkebringdienst eine Milliarde Euro bezahlt haben soll, der innerhalb von zwei Stunden Getränke an VerbraucherInnen in mittlerweile 30 Städte liefert.