Nachrichten aus dem Versandhandel
 (Bild: Pixapay)
Bild: Pixapay

Ein Scalper packt aus: "Ich habe die Shops einfach abgezockt"

10.05.2021 - Er hat deutsche Onlineshops leergekauft und angesagte Sneaker und begehrte brandneue Spielkonsolen ahnungslosen Onlinehändlern weggekauft und mit Riesengewinn weiterverscherbelt - oft an die Konkurrenten derjenigen, die er abgezockt hat. Im Exklusivinterview verrät der Scalper nun seine Tricks.

von Joachim Graf

Wir sollen ihn Jens nennen. Mit einem Standard-PC über einen ganz normalen DSL-Anschluss hat er von seinem Schreibtisch in einer norddeutschen Kleinstadt aus jahrelang deutsche Onlinehändler abgezockt. Im Interview steht er Rede und Antwort.

Darf ich fragen, wie alt Du bist?
Ich bin 20.

Cool. Du hast also früh angefangen?
Ja. Sneaker-Reselling habe ich das erste Mal so mit 15, 16 Jahren gemacht. Aber mit 18 habe ich dann richtig mit Botting angefangen und mich mit 19 dann selbständig gemacht.

Wie muss ich mir Deinen Einstieg ins Scalping vorstellen?
Ich habe damals mit dem Sneaker-Reselling begonnen und habe mir nach einiger Zeit meinen ersten Bot geholt, um mehr Paare zu bekommen. Mit dem Bot lief es nicht besonders gut und ich habe eher Geld verloren, aber an Erfahrung gewonnen. Dann nach einiger Zeit habe ich mir mehrere Bots gekauft und etwas mehr Geld investiert. Der teuerste lag damals bei 400 Euro.
Ich habe zirka sechs Monate aktiv Botting betrieben und damit auch einige Erfolge gehabt. Ich habe Schuhe gekauft, die ich für mehrere hundert Euro Gewinn jeweils verkaufen konnte. Irgendwann war mir dann aber der Zeitaufwand zu groß und ich habe mich anderen Dingen in der Selbstständigkeit gewidmet, die für mich profitabler sind und die ich auch bis heute noch mache. Die Bots habe ich fast alle verkauft und den, den ich damals für 400 Euro gekauft habe, habe ich vor zirka zwei Monaten für 1.400 Euro verkauft. Ich kenne aber noch viele in meinem Umfeld, die aktiv Botting für Schuhe und auch andere Artikel betreiben und auch sehr erfolgreich damit sind.


Aber anders gefragt: Du hättest Sneaker auch manuell kaufen können?
Die Bots kaufen automatisiert die Produkte. Es kommt natürlich auf die Website bzw. den Store an, bei manchen kann man noch manuell bestellen, aber bei vielen hat man ohne Bot kaum Chancen.

Wie viel kann man denn mit Botting verdienen?
Das kann man pauschal nicht sagen, es kommt darauf an, wie viel Zeit und Geld man investiert. Mehrere hundert Euro monatlich sind kein Problem, bei vielen geht es auch in den vierstelligen Bereich.

Aber es gibt lukrative Geschäftsmodelle, deswegen hat Du es am Ende sein gelassen?
Ja, aber außerhalb des Sneaker-Resellings. Ich habe mich dem Thema auch nie zu 100 Prozent gewidmet, weswegen ich nicht so gute Ergebnisse wie andere erzielt habe. Ich war einfach nicht so gut, dass es sich langfristig gelohnt hätte.

Welche Händler hattest Du vor allem im Visier?
Ich persönlich hatte vor allem Supreme, Snipes und Adidas im Visier. Supreme veröffentlich deren Sachen nur in ihrem eigenen Onlineshop. Snipes ist ein sehr großer Händler und Adidas hat früher auch die gehypten Modelle über dessen Website veröffentlicht. Kleinere Händler sind auch ein Versuch wert, haben aber weniger Schuhe und sind oft überlastet, beziehungsweise sind schon oft zu Gewinnspielen gewechselt.

Für Onlinehändler sind Bots also eine Gefahr?
Weil das durch die Medien ging: Bei dem PlayStation 5 Release war immer die Sprache von Bots. Aber ich kann sagen, dass in Deutschland 99 Prozent der Bestellungen ohne Bots aufgegeben wurden. Ich selbst hatte zum Release knapp 40 Konsolen bei mir zuhause herumliegen. Und die habe ich alle manuell bestellt.

Hattest Du bei Deinen ganzen Aktionen nie Probleme?
Nein, ich habe die Shops einfach abgezockt.

Was verdient man am einer Konsole? Und wo verkauft man sie?
Anfangs so 300 Euro, jetzt deutlich weniger. Ich habe auf den gängigen Online-Plattformen verkauft, aber auch viel an Großkunden.

Großkunden sind andere Händler?
Ja. Einer verkauft die einfach weiter. Und ein anderer Händler verlost die, weil er im Gaming-Bereich aktiv ist.

Was empfiehlst Du - als Insider - Onlinehändlern als Gegenstrategie?
Viele Händler sind schon auf Gewinnspiele umgestiegen, die das Kaufrecht verlosen. Für diese Gewinnspiele sind aber auch schon sogenannte Raffle-Bots entwickelt worden. Ich persönlich würde gehypte Sneaker instore verlosen, da Bots online fast immer Erfolg haben. Es gibt auch manche Händler mit sehr guten Bot-Protections, dies ist aber mit hohen Kosten verbunden.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Welche Bots Onlineshops bedrohen

  • Scalper-Bots: Mit Hilfe dieser Bots kaufen Scalper in Sekundenbruchteilen limitierte Produkte auf, um sie anschließend gewinnbringend auf anderen Plattformen weiterzuverkaufen.
  • Raffle-Bots: Diese Bots nutzen die Produktverlosungen aus. In der Regel wird bei einem Raffle für einen Release nur das Kaufrecht und nicht der Schuh selbst verlost. Eine Verlosung des Kaufrechts findet immer in den Tagen vor dem offiziellen Release des Sneakers statt. Ein Online-Raffle findet nur in dem jeweiligen Onlineshop statt. Bei einem Instore-Raffle muss der Kunde im Store seinen Namen in den Lostopf werfen.
  • Scraper-Bots: Diese Bots werden eingesetzt, um beispielsweise komplette Sortimentslisten aus Onlineshops auszulesen und darauf basierend Fakeshops aufzubauen.
  • Denial-of-Inventory Bots: Bei diesem Angriff legt der Bot im Onlineshop Artikel in den Warenkorb, schließt den Checkout aber nie ab. Die Artikel sind für andere Shopbesucher nicht mehr verfügbar. Im Worst Case werden komplette Produktkategorien leergeräumt.
  • Gift-Ghost-Bot: Der Bot (oder ein Bot-Netz) versucht, Gutscheincodes oder den Code von Gutscheinkarten per Brute-Force oder mit educated Guesses zu erraten. Je mehr über den Aufbau der Gutscheincodes bekannt ist (nur Zahlen oder: "erst vier Zahlen, dann zwei Buchstaben, dann acht Zahlen"....), um so einfacher ist es für den Bot, die Codes zu erraten.
  • DDoS-Angriffe: Manche Bots können DDoS-Attacken ausführen. Zusammengeschlossen in einem Bot-Netzwerk können sie Onlineshops mit koordinierten Anfragen überfluten und Webseiten zum Absturz bringen.

Was Händler gegen Bot-Gefahren tun können

  • Nur haushaltsübliche Mengen abgeben und dies in den AGBs festschreiben
  • Mehrfachbestellungen identifizieren und ggf. stornieren
  • Bei Raffles - Kaufrechtverlosungen - die Produkte möglichst nicht über den Postweg versenden, sondern direkt in einer Filiale abholen lassen. So kann verhindert werden, dass eine Person mehrmals teilnehmen kann, da bei der Übergabe der Personalausweis mit dem Namen des Gewinners verglichen wird.
  • Warenkorb-Timeouts einstellen
  • Captcha verwenden, um Massenbots auszusperren
  • Bot-Protection-Lösungen einsetzen, um sich gegen alle Arten von Bot-Angriffen zu schützen
  • Software installieren, die unübliche Traffic-Muster auf der Website erkennt