Nachrichten aus dem Versandhandel
 (Bild: Pregis)
Bild: Pregis

Probleme im Weihnachtsgeschäft: Knappes Papier, rare Paletten, teure Versandkartons

08.10.2021 - Onlinehändler sind stolz auf ihr digitales Geschäftsmodell - und doch sind sie auf Papier angewiesen: Sie verwenden es für ihre Versandkartons, für ihre Kataloge, für ihre Werbeflyer und Bestellgutscheine.

von Joachim Graf

Seit Anfang des Jahres wird allerdings Papier nicht nur teurer - manche Sorten sind gleich gar nicht mehr lieferbar. Das hat Auswirkungen auf den Versandhandel und das Online-Weihnachtsgeschäft.

Bei dem einen oder anderen Onlinehändler, der gerade mitten in den Vorbereitungen für das Weihnachtsgeschäft steckt, dürften in diesen Tagen Anrufe seiner Lieferanten für hohen Puls sorgen: Die Lieferzeiten für Versandkartons liegt mittlerweile bei vier Monaten - normal sind etwa 10 Tage, wie der Europäische Wirtschaftsdienst (Euwid) ermittelt hat. Immerhin: Noch sind die Lager voll, was sich allerdings in den kommenden Wochen ändern dürfte.

Hinzu gesellen sich demnach nun auch Engpässe und Kostensteigerungen bei den Paletten. Euwid zufolge hätten die Kosten im August in der Kategorie "Speditionsqualität" verglichen mit dem Vorjahr um 222 Prozent zugelegt."

Ebenfalls einen Engpass gibt es bei den grafischen Papieren. "In zahlreichen Druck- und Medienbetrieben sorgen die Engpässe auf den Papiermärkten für alarmierende Produktionsbehinderungen", klagt der Bundesverband Druck und Medien (BVDM), in dem sich die Druckbetriebe organisieren. Das bedeutet: Wer heute einen Katalog drucken will oder ein hochauflagiges Printmailing, bekommt von seinem Drucker unter Umständen zu hören, dass der Auftrag mangels Papier nicht oder nur zu deutlich höheren Preisen abgewickelt werden kann. Und die Lage wird sich auf absehbare Zeit nicht entschärfen, selbst wenn Stephan Krauss, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes des Deutschen Papiergroßhandels e.V. Teilentwarnung gibt: Die Läger des Großhandels seien "teilweise noch lieferfähig". Allerdings: Sie seien "nicht imstande, die aktuellen Engpässe auszugleichen".

Schweinezyklus, gepaart mit Globalisierung und Ökowende

Preistreiber sind nach Aussage des Verbandspräsidenten "politisch forcierte" steigende Energie- und Klimakosten. Zusätzlich führen allgemein sinkende Frachtkapazitäten (-26,9 Prozent von Juli 2020 bis Juli 2021) zu einem Anstieg der Logistikkosten von über einem Fünftel. Doch die eigentlichen Probleme liegen tiefer: Da ist die Holzknappheit, die dafür sorgt, dass Paletten genauso rar sind wie der Papierrohstoff Zellulose. So wurden im Jahr 2020 in Europa 37 Millionen Tonnen Zellstoff und Holzstoff hergestellt, um 2,8 Prozent weniger als 2019: Schuld ist vor allem eine hohe Nachfrage in China und den USA. Dort wird nicht nur viel gebaut, sondern es werden auch bessere Preise gezahlt als hierzulande. Das führt dazu, dass mehr Holz exportiert wird, das hierzulande nicht mehr verfügbar ist.

Dazu kommen die Folgen der Dürre in den letzten Jahren. Mancher Forstunternehmer hat kaum noch gesunde, hochwertige Bäume in seinem Wald stehen. Und selbst das Schadholz, das sonst günstig verkauft wird, erzielt gerade hohe Preise, mit denen die Hersteller von Versandpaletten hierzulande nicht mithalten können: Die Sägewerke zahlen besser, weil sie Brettsperrholzwände ströme wieder beruhigen. Bis die Lieferengpässe bei den Paletten bereinigt sind, wird es allerdings wohl 2022 werden.

Längerfristig relevant bleibt das reduzierte Angebot bei Papier. In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Zeitschriften und Zeitungen überall in Europa Auflagen stark reduziert. Kataloge, die jahrzehntelang als Papier-Großstaubsauger fungiert hatten - von Otto- bis Ikea-Katalog - wurden eingestellt. Seit 2012 ist die Nachfrage nach grafischen Papieren europaweit um 44 Prozent zurückgegangen. Gregor Andreas Geiger, Bereichsleiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Verband Deutscher Papierfabriken, beklagt daraus folgend den "anhaltenden Strukturwandel in diesem Bereich": "Dies hat zu einem starken Abbau von Produktionskapazitäten geführt. So sind allein seit 2016 Kapazitäten in Höhe von 8,2 Millionen Tonnen abgebaut worden. Die aktuell niedrigere Marktversorgung mit grafischen an die Bauindustrie zu höheren Preisen verkaufen können. Aktuell fällt der Holzpreis allerdings schon wieder - der Schweinezyklus nähert sich dem Ende, auch weil sich die globalen Handels-Papieren ist auf diesen Strukturwandel sowie einigen Problemen in den Lieferketten (pandemiebedingt) zurückzuführen."

Gleichzeitig wächst der Bedarf an Zellstoff in Ländern wie China aufgrund einer anziehenden Konjunktur und geringeren Importen von Altpapier. Schließlich ist Altpapier kein nachwachsender Rohstoff, sondern folge im Kreislauf der vorangegangenen Nutzung von Papier. Diese aber ist in der Coronapandemie zusätzlich eingebrochen. Ohne Altpapier allerdings auch keine Wellpappe: Der Index der Preisanalyse-Agentur FOEX sieht im Frühjahr einen Preisanstieg beim Altpapier je nach Sorte zwischen 35 und 45 Prozent. Die im Verband der Wellpappen-Industrie e. V. (VDW) organisierten Unternehmen sehen darum auch aktuell lange Lieferzeiten, sehr viel höhere Preise und schlechte bis sehr schlechte Verfügbarkeit bei Rohstoffen: Der Verband warnt vor deutlich längeren Lieferzeiten bei den Versandkartons und Verpackungsmaterialien für den Onlinehandel. Dieses Problem ist offenbar noch nicht bei allen Versandunternehmen angekommen - oder sie möchten nicht darüber
sprechen.

So antwortet Amazon auf die Frage von Eurotransport, man sehe "keine Knappheit oder Engpässe bei Verpackungsmaterial/Kartonagen". Auch Otto hat eigenen Aussagen zufolge keinen Engpass bei Kartonagen und Verpackungsmaterialien. Der Grund sei unter anderem "eine ausreichende Bevorratung"". Zalando wiederum ist sich "der aktuellen Knappheit bewusst", sei jedoch dank seines Lieferanten in der Lage, den Bedarf zu decken.

Die Ökowende sorgt für weitere Papierknappheit, da immer mehr Plastikprodukte durch Papier ersetzt werden sollen. Kochversandbox-Anbieter Hello Fresh beispielsweise will in seinen Kochboxen Trockenwaren wie Reis, Quinoa und Nüsse europaweit schon bald in recycelbaren Papierverpackungen anbieten. Auch die Hersteller rüsten beim Plastik ab: von Papiertuben von Kneipp bis zu Coca-Colas Papierflaschen für die Mandelmilchmarke AdeZ: Überall ersetzt Papier
Plastikverpackungen - und sorgt für einen schärferen Wettbewerb.

Wo E-Retailer einen Strategiewechsel bei Versandkatalogen vorbereiten

Mit den steigenden Papierpreisen und der sinkenden Verfügbarkeit müssen vor allem die Marketingverantwortlichen im Handel in den kommenden Monaten wohl leben müssen. BVDM-Sprecherin Bettina Knape warnt: "Betroffen sind alle Produkte aus dem Bereich grafische Papiere und dazu gehören auch Kataloge." Auftragswünsche hinsichtlich Auflagen oder Umfang werden ihrer Prognose zufolge "aufgrund der Schwierigkeiten der Papierbeschaffung mitunter nicht, nicht termingerecht oder nicht vollständig bedient werden können." Auch die Druckpreise könnten sich in den kommenden Monaten weiter erhöhen.

In einer nicht repräsentativen Umfrage hat die Redaktion im September uns bekannte Onlinehandelsunternehmen befragt, die in den vergangenen 12 Monaten einen oder mehrere Kataloge produziert hatten. Wir wollten von ihnen wissen, ob sie die Papierknappheit trifft - und wie sie gegebenenfalls darauf reagieren.

 (Bild: Grube)
Bild: Grube

" Katalogauflagen erhöhen war mangels Verfügbarkeit nicht machbar"
(Katrin Cebulla, Handlungsbevollmächtigte Marketing & Produktgruppenmanagement Forst, Grube KG)

Ergebnis: Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen klagt über Probleme. Sonja Bolz beispielsweise, Marketing-Managerin beim Weinversandhändler Ebrosia, sieht als Problem neben den steigenden Preisen die Vorbestellzeit für größere Papiermengen. Auch Gerhard Pröpster, Geschäftsführer von Naturbodenanbieter Corpet Cork GmbH, sieht neben den gestiegenen Preisen vor allem "die sehr lange Lieferzeit und die Verlässlichkeit als die größeren Probleme."

Dennoch reagieren nur rund zwei Fünftel mit der Reduzierung der Auflagen oder gar mit dem Schwenk hin zu Online-Katalogen. So beschäftigt Katrin Cebulla, Handlungsbevollmächtigte Marketing & Produktgruppenmanagement Forst bei der Grube KG, "primär nicht der Papierpreis, sondern die Papierverfügbarkeit". Grube hätte partiell gern noch die Auflagen erhöht, "das war aber mangels Verfügbarkeit nicht machbar." Ein geplantes Druckstück wird Grube durch ein digitales Produkt ersetzen. Allerdings "liegt das nicht im Papierpreis begründet."

Einer Reihe von Katalogversendern ist die aktuelle Papierknappheit allerdings egal - oder sie wird durch den anhaltenden E-Commerce-Boom wettgemacht. So ist es beispielsweise bei Antina Wolff. Die CEO Marketing & Controlling der Heidekönigin Textilhandels GmbH erhöht sogar ihre Katalogauflage: "Wir benötigen die erhöhte Katalogauflage auf Grund der erhöhten Nachfrage nach unserem Katalog und damit nach unseren Produkte." Sie sieht es entspannt: Der Papierpreis steige eben, "genauso wie die Preise von Baumwolle, Schurwolle und anderen Gütern".

Alternativen für Verpackungen

Der Weg von Plastik hin zu Holz und Papier ist offenkundig unaufhaltsam. Bei den Paletten sind sich die Verpackungsexperten einig, dass trotz hoher Holzpreise Plastik auch in Zukunft keine Alternative wird. Bei den Verpackungsmaterialien werden sich Papierverpackungen wohl zunehmend gegenüber Plastik-Versandverpackungen durchsetzen. Das IFH Köln hatte im April 2021 für seine Studie 'Wellpappe vs. Mehrweg. Akzeptanz von Verpackungslösungen im Versandhandel' VerbaucherInnen befragt, wie sie verschiedenen Verpackungslösungen gegenüberstehen. Das Ergebnis: 91 Prozent der Befragten empfinden Verpackungen aus Pappe, Wellpappe oder Karton gegenüber Plastikverpackungen als natürlicher. 89 Prozent bevorzugen recycelbare Produktverpackungen.

Der Umbau ist bereits in vollem Gang: Bereits im Jahr 2020 war beispielsweise der Otto-Konzern eine Kooperation eingegangen mit dem Start-up Wildplastic. Dieses hat sich darauf spezialisiert, Kunststoffmüll in den Wertstoffkreislauf zurückzuführen, der weder recycelt noch innerhalb eines funktionierenden Abfallsystems korrekt entsorgt werden kann. Dazu arbeitet das Unternehmen weltweit mit zertifizierten Organisationen und SammlerInnen von Kunststoffen zusammen. Diese sammeln das wilde Plastik (z.B. in Haiti oder Nigeria), dann wird es mit einem speziellen Verfahren gereinigt, eingeschmolzen und zu Granulat verarbeitet. Das Granulat wird zu Versandtüten verarbeitet. Nach Testläufen mit den neuen Versandtüten im vergangenen Jahr will Otto diese nun flächig einsetzen und bis Ende 2021 einen Großteil seiner Versandverpackungen auf die Tüten von Wildplastic umstellen. Bisher verwendete der Konzern Verpackungen aus normalem Recyclingmaterial.

Die Kooperation mit Wildplastic ist nicht das einzige Projekt von Otto im Bereich der nachhaltigen Verpackung. Der Konzern ist - zusammen mit Tchibo und Avocadostore - Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes "PraxPack". In dem Forschungsvorhaben überprüfen die Unternehmen die Chancen von Mehrwegversandsystemen und entwickeln zusammen Lösungen, um Verpackungsmüll zu vermeiden. Auch mit mit dem Hamburger Startup Traceless kooperiert Otto, um vollständig kompostier- und abbaubare Versandtüten herzustellen