Nachrichten aus dem Versandhandel
 (Bild: janjf93 / pixabay.com)
Bild: janjf93 / Pixabay

Langzeit-Analyse: Welche E-Commerce-Segmente noch wachsen

05.12.2022 - Die Umsätze im deutschen E-Commerce sind in den vergangenen zwei Coronajahren sprunghaft gestiegen. Aber nicht jede Warengruppe profitiert. Während einige Warensegmente online kaum gewachsen sind, gehen andere durch die Decke. Der Versandhausberater zeigt in der aktualisierten Langzeit-Analyse, wie sich der deutsche Onlinehandel bis 2025 entwickelt, welche Handelssegmente an ihre Sättigungsgrenze stoßen und welche besonders schnell wachsen.

von Susan Rönisch

Der Onlinehandel wächst. Aber wie schnell und wohin? Und überrollt das Web-Geschäft den Gesamthandel? Mit 99,1 Milliarden Euro, was einem Umsatzplus von 19 Prozent entspricht, ist der deutsche Onlinehandel 2021 erneut zweistellig gewachsen. Im Vorjahr lag der Onlinehandelsumsatz bei 83,3 Milliarden Euro.

Deutlich langsamer gewachsen ist im Jahr 2021 der Einzelhandel insgesamt: Sein Gesamtumsatz stieg um zwei Prozent auf 589,4 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass mittlerweile jeder sechste Umsatz-Euro über digitale Shoppingkanäle erwirtschaftet wurde. Der Anteil des E-Commerce am Gesamthandel liegt damit aktuell bei 16,8 Prozent. Das geht aus den Daten der E-Commerce-Verbraucherstudie des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel e.V. (bevh) und den Erhebungen des Handelsverbandes Deutschland (HDE).

Wachstumstreiber im Einzelhandel blieb im zweiten Coronajahr der Onlinehandel. Allerdings gibt es eine enorme Kluft innerhalb des Handels: Während der Internethandel brummt, bangten viele kleinere Geschäfte wegen der Lockdowns ums Überleben.

Trotz der stark anziehenden Onlinehandelsumsätze ist der deutsche E-Commerce-Markt nicht unendlich groß. Aktuell liegt zwar das Wachstum über dem Wachstumsdurchschnitt der drei vorangegangenen Jahre, aber das lässt sich klar auf den Corona-Sondereffekt zurückführen. "Wir sehen derzeit zwei Effekte: eine Normalisierung der Umsätze gegenüber dem Hoch aus dem Vorjahr und einen Kriegs-Malus samt verunsicherter Verbraucher. Dass die Umsätze im gesamten Onlinehandel trotz Krise nur so schwach gesunken sind, zeigt die Resilienz der Branche in einem sehr angespannten wirtschaftlichen Umfeld", erklärt Frank Düssler, Referent Presse und Öffentlichkeit beim Bevh. Heißt, die starken Wachstumsraten schwächen sich allmählich wieder ab und kehren nach zweistelligen Umsatzsteigerungen in den Vorjahren in gewohnte Wachstumspfade zurück.

Mittelfristig wird der E-Commerce an seine Sättigungsgrenze stoßen. Trotz des starken E-Commerce-Aufschwungs und der gestiegenen Umsätze der vergangenen Monate wird es für neue Player immer schwerer, sich jetzt noch im Onlinehandel zu etablieren. Das liegt zum einen maßgeblich daran, dass sich in fast allen Produktkategorien bereits starke Player etabliert haben, die sich über Jahre erhebliche Marktanteile erkämpfen konnten.

Mit ihrem finanziellen Rückgrat haben sie einen so großen Vorsprung, sodass die meisten neuen KonkurrentInnen da nicht mithalten, geschweige denn aufholen können. So zeigt sich der deutschen E-Commerce-Markt seit Jahren stark konzentriert. Es sind vor allem die großen Shops, die am Branchenwachstum partizipieren, allen voran Amazon. Der Handelsriese ist während der Pandemie so stark gewachsen, dass 2020 erstmals mehr als die Hälfte (53 Prozent) des Umsatzes im deutschen E-Commerce auf dessen Konto landet.

Auf der anderen Seite bewegen sich einige Warensegmente langsam auf eine Marktsättigung zu. Auch wenn sie wachsen, wachsen sie deutlich langsamer. So entfällt beispielsweise die Hälfte des gesamten Onlineumsatzes auf die Warensegmente Fashion und Consumer Electronics (UE, TK-Endgeräte, Computer und Zubehör). Zusätzlich stagniert die Zahl der KonsumentInnen, die vom Offline- in den Onlinekanal wechseln, zunehmend. Dadurch wird der Konkurrenzkampf immer härter, weil künftig weniger Marktwachstum auf die Player verteilt wird.

Aktuell ist der Gewinner im Einzelhandel ganz klar der E-Commerce. Dennoch lassen die aktuellen Halbjahreszahlen für 2022, die der BEVH vor wenigen Tagen kommuniziert hat, aufhorchen: Demnach kann sich der E-Commerce den Auswirkungen von Krieg, steigenden Preisen und verunsicherten Verbrauchern nicht entziehen. Die Umsätze für den gesamten E-Commerce mit Waren sind in den sechs Wochen von Anfang April bis 16. Mai 2022 im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr um 6,7 Prozent gesunken. Von den Rückgängen betroffen sind sämtliche Warencluster mit Ausnahme von Waren des täglichen Bedarfs (z.B. Lebensmittel, Drogerie, Tiernahrung).

Diese Segmente wachsen


Zu den etablierten und Vorreiterbranchen im deutschen E-Commerce gehören Segmente wie Bekleidung, Bücher und Unterhaltungselektronik. Doch längst nicht alle Branchen sind so weit. In anderen Branchen geht es mit dem Wachstum jetzt erst richtig los. Das zeigen unter anderem der aktuelle Branchenreport Online-Monitor 2022 des Handelsverbands Deutschland HDE und des IFH Köln sowie die jährlich erscheinende Studie Interaktiver Handel in Deutschland (2021).

Die Nachzüglerbranchen im E-Commerce, dazu gehören laut den Verbänden unter anderem Fast Moving Consumer Goods, machen nach wie vor mit Abstand den größten Anteil im Offline-Einzelhandel aus, aber weisen aktuell das stärkste Onlinewachstum auf, vor allem durch Lebensmittel. Überdurchschnittliches Wachstum beziehungsweise zu den weiteren Treiberbranchen gehören 'Medikamente', 'Drogerie, Kosmetik', 'Heimwerken/ DIY/ Garten', 'Fahrräder & Zubehör' und 'Möbel'.

Unterdurchschnittlich online gewachsen sind bei den vom Versandhausberater betrachteten Segmenten in 2021 der Buchmarkt, Schmuck und Bürobedarf. Diese Entwicklungen sind zum Teil auf die allgemeine Struktur dieser Marktsegmente zurückzuführen. So ist beispielsweise der Umsatz im Buchmarkt nach jahrelanger Talfahrt insgesamt leicht gestiegen, aber seit Jahren sinkt die Zahl der KäuferInnen beziehungsweise LeserInnen. Das geht aus den Zahlen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Das Buch in Zeiten von Corona - Perspektiven für den Markt hervor. Größtes Problem sind weniger LeserInnen, beziehungsweise die Zahl der KäuferInnen im Buchmarkt sinkt seit Jahren.

Methode


Für die Analyse hat der Versandhausberater die Gesamtumsätze der zehn Warenbereiche bei den einschlägigen Branchenverbänden abgefragt und sie den Onlineumsätzen gegenübergestellt. Diese stammen zum Teil vom Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH). Im nächsten Schritt haben wir uns die Charakteristiken sowie die Wachstumshistoriken jedes einzelnen Segments genau angeschaut und auf deren Basis die weitere Marktentwicklung bis 2025 prognostiziert, sowie das voraussichtlich dann vorherrschende Marktwachstum bestimmt.

Der Versandhausberater die zehn Warensegmente nach ihrem aktuellen und künftigen Wachstumsverhalten geordnet und in drei Bereiche gegliedert, in die Verdrängungsbranchen, die Nischensegmente und die Wachstumsmärkte:


1. Die Verdrängungsbranchen:


In drei Warensegmenten findet tatsächlich eine Verdrängung des Offlinehandels statt. Das sind die Branchen, die mittelfristig mindestens 50 Prozent des Umsatzes online generieren werden.
Zu den Verdrängungsbranchen gehört der Handel mit Consumer Electronics (UE & TK-Endgeräte). Der Onlineumsatz liegt mittlerweile bei gut 80 Prozent am Gesamtmarkt und dürfte seinen Anteil in den kommenden Jahren auf jeden Fall bis zu 85 Prozent ausbauen. In diesem Warensegment liegt das Wachstum im E-Commerce künftig dann nur noch im mittleren bis einstelligen Prozent-Bereich. Treiber des Onlinemarkts für Consumer Electronics sind nach wie vor (mobile) Telekommunikationsgeräte. Dennoch ist hier insgesamt eine Sättigung nahe.
Szenario 2025: Verdrängungsbranche, weiteres Wachstum

Mit einem ordentlichen Plus von gut zehn Prozent ist der Umsatz der Online-Buchhändler deutlich stärker gewachsen als der des stationären Buchhandels, der aktuell wieder im Plusbereich liegt. Dennoch: Die Flaute der vergangenen Jahre bestärkt uns weiterhin in der Annahme, dass der Onlinemarkt vorerst nicht mehr groß wachsen wird. Zudem hat der Buchmarkt allgemein und über die Jahre betrachtet mit einem Rückgang beziehungsweise einer Stagnation des Buchgeschäfts zu kämpfen. 2025 entfallen etwa 50 Prozent des Umsatzes aus dem Buchmarkt auf das Internet-Geschäft.
Szenario 2025: Verdrängungsbranche, annähernd gesättigt

Im Bereich Spielwaren hat sich das kräftige Wachstum des Onlineanteils in den vergangenen Jahren (nach einer Wachstumsdelle 2016/2017) nicht gebremst. Der aktuelle Marktanteil von 54 Prozent wird voraussichtlich bis 2025 bei mindestens 55 bis 60 Prozent liegen.
Szenario 2025: Verdrängungsbranche, weiteres Wachstum


2. Die Nischensegmente:


Als Nischensegmente bezeichnen wir die, die bis 2025 nicht über einen Marktanteil von 35 Prozent im E-Commerce hinauskommen und eher langsam wachsen:

Der Markt mit Bürobedarf wird sich bis 2025 von heute neun Prozent Onlineanteil mittelfristig nicht groß weiterentwickeln und gut zehn Prozent ECommerce-Anteil erreichen. Unter anderem weil der Umsatz mit Bürobedarf seit Jahren rückläufig ist. Grund dafür ist unserer Einschätzung nach das stetig steigende Interesse an Arbeitsoptionen im Home-Office, während das Interesse an Büroarbeitsplätzen sinkt. Außerdem hinkt die Branche in puncto Digitalisierung stark hinterher, da der PBS-Markt vom Fachhandel geprägt ist. Damit sind die Zukunftsaussichten für die stark analog verwurzelte Branche düster: Tiefrote Zahlen und keine Marktfestigung lauten die Prognosen.
Szenario 2025: Nischensegment, nahezu gesättigt


3. Die Wachstumsmärkte


Von den zehn betrachteten sind sechs als kräftige Wachstumsmärkte einzustufen, weil ihr Onlinehandelsumsatz weiterhin stark wachsen wird.

Das ist zum einen der Lebensmittel-Onlinehandel, der allerdings prozentual mit 1,4 Prozent den niedrigsten Marktanteil gemessen am gesamten Lebensmittelhandel hat. Das ECommerce-Wachstum hat 2021 einen wahnsinnig großen Sprung gemacht. Auch in den kommenden Jahren wird das Onlinegeschäft weiter anziehen, wenn auch weniger stark. Wir gehen dennoch davon aus, dass 2025 der Onlinehandel mit Lebensmitteln maximal zwei Prozent Marktanteil bewirkt. Auch dann ist eine Sättigung längst nicht erreicht und der Lebensmittel-ECommerce wird weiterhin zweistellig wachsen. Aber das Wachstum ist endlich. Langfristig wird der Lebensmittel-Onlinehandel aber in der Nische bleiben.
Szenario 2025: Nischensegment, starkes Wachstum

Im Bereich Schmuck ist der Onlineanteil in den vergangenen vier Jahren solide gewachsen. Der aktuelle Marktanteil von knapp 33 Prozent wird voraussichtlich bis 2025 bei 35, maximal 40 Prozent liegen. Der Onlineanteil bleibt mittelfristig vergleichsweise niedrig, weil bei hoch emotionalen, wertvollen Produkten viele KundInnen Wert auf individuelle Beratung vor Ort legen.
Szenario 2025: Nischensegment, leichtes Wachstum

Der Internethandel mit Computern und Zubehör zieht kontinuierlich an und wird bis 2025 einen Marktanteil um die 25 Prozent erreichen. Der Anteil am Gesamtmarkt bleibt vergleichsweise niedrig, weil vielen KundInnen Beratung und persönlicher Support nach wie vor wichtig sind. Außerdem werden immer mehr mobile Endgeräte verkauft, die damit in die Warengruppe Telekommunikations-Endgeräte abwandern.
Szenario 2025: Nischensegment, solides Wachstum

Etwas weiter ist mittlerweile der Möbel-Onlinehandel. Er klettert aktuell auf 19,4 Prozent Marktanteil - was aber vor allem auf Kleinmöbel und Heimdeko zurückzuführen ist. In den kommenden fünf Jahren wird er, getrieben durch den Crosschannel-Handel, weiter anziehen und durchaus Online-Wachstumsraten um die zehn Prozent aufweisen. Bis 2025 ist ein Marktanteil bis 25 Prozent durchaus möglich.
Szenario 2025: Nischensegment, weiteres Wachstum

Im Segment Tierbedarf erwarten wir weiteres Wachstum. Entgegen den bisherigen Annahmen ist hier keine Sättigung erreicht und online wächst das Segment solide, wenn auch auf niedrigem Niveau gemessen am Gesamtmarkt. Immerhin lag das Onlinewachstum in diesem Jahr bei 17,6 Prozent. Das Wachstum kommt vor allem aus Nischensegmenten und dem Bereich Tier-Accessoires und Zubehör. Tiernahrung wird vor allem im Supermarkt und Drogeriegeschäft gekauft.
Szenario 2025: Nischensegment, weiteres Wachstum

Entgegen den Erwartungen und trotz schwieriger Marktsituation wächst der Onlinehandel mit Bekleidung, Schuhen und Textilien verhältnismäßig gut. Der Onlineanteil wird sich bis 2025 von heute 38,6 in Richtung 40 Prozent Marktanteil vergrößern. Dennoch erwarten wir hier eine Marktsättigung, die sich aber entgegen der bisherigen Annahme später einstellen wird.
Szenario 2025: Nischensegment, leichtes Wachstum