Nachrichten aus dem Versandhandel
 (Bild: Gerd Altmann / Pixabay)
Bild: Gerd Altmann / Pixabay

Conversational Commerce: So wird der Messenger zum Verkaufskanal

05.12.2022 - In Deutschland steht Conversational Commerce noch am Anfang. Wie sich Messenger nicht nur für die Kommunikation im Kundenservice, sondern auch für den Sales nutzen lassen, zeigt Onlinehändler MissPompadour.

von FRS

Als direkter Draht zum Kunden und zur Kundin sind Messenger bei Unternehmen zunehmend gefragt - als erfolgversprechender Kanal für Service, Marketing und inzwischen auch Sales. Conversational Business - oder auch Conversational Marketing und Conversational Commerce - ist auf dem Vormarsch und mehr als ein Buzzword, meint Prof. Dr. Peter Gentsch, KI-Experte und Leiter des Institute for Conversational Business an der Hochschule Aalen. Der Handel sucht Wege für persönliche und effiziente Online-Beratung und neue Vertriebswege - gefragt ist der direkteste und gewinnbringendste Kanal zur Kundin bzw. zum Kunden. Entsprechend bauen auch Anbieter wie WhatsApp, Facebook,Google und auch Apple ihre Business-Lösungen für Messaging immer weiter aus.

Conversational Marketing bietet Unternehmen die Möglichkeit, mit den KundInnen bei jedem Schritt ihrer Customer Journey in Kontakt und in einen Dialog zu treten. Wenn die Customer Journey vielversprechender potenzieller KundInnen ins Stocken gerät und gängige Dialog-Aktionen wie Anrufe oder EMails nicht zu einer Kaufentscheidung führen, kann Conversational Marketing KundInnen dort abholen, wo sie gerade "festhängen".

Etwa durch ein Live-Chat-Fenster, das sich auf der Webseite öffnet und einen Dialog in Echtzeit ermöglicht, unterstützt durch Chatbots, die rund um die Uhr auf Fragen antworten. Oder eben über einen Messenger-Dienst. Wichtig ist, dass die BesucherInnen im richtigen Moment ein Dialog- oder passendes Service-Angebot erhalten. Ohne sich dafür mühsam registrieren zu müssen, Formulare auszufüllen, E-Mails zu schreiben, zum Telefonhörer zu greifen.

Messenger-Dienste als Verkaufskanal


Conversational Marketing unterstützt nicht nur Presales-Prozesse, sondern kann den fließenden Übergang zum Customer Service einleiten und sogar zum Kaufabschluss führen - Stichwort Conversational Commerce. "Durch die Einfachheit der Kommunikation und die weite Verbreitung von Messenger ist die Hürde hier geringer auch einen Kauf abzuschließen", sagt Forscher Peter Gentsch. Messenger-Dienste etablieren sich als Verkaufskanal, da sie mit bestehenden Shopsystemen verbunden werden können. Das ermöglicht das Vorschlagen passender Produkte, das Füllen von Warenkörben sowie den anschließenden Check-out direkt im Chat.

MissPompadour: 30 Prozent Umsatz über WhatsApp


Wie sich mit Conversational Commerce richtig Geld verdienen lässt, weiß der D2C-Farbenhändler und Farbenhersteller MissPompadour, ein 2019 gegründetes Startup mit Sitz in Regensburg. Die junge Firma nutzt Messengerdienste, allen voran WhatsApp, sowohl für die Kundenberatung als auch für Sales. "KundInnen schätzen es, wenn ein Händler so einfach wie möglich zu erreichen ist", erklärt CEO Erik Reintjes, zusammen mit seiner Schwester Astrid Reintjes und Niklas Lütteken Co-Founder des Startups. "Messenger nutzen alle im Alltag, man sieht sofort, ob die Nachricht gelesen wurde und bekommt eine schnelle Antwort. Für mich ist diese Art der Kommunikation eine logische zwischen Handel und Kunde, egal ob im E-Commerce oder stationär."

Die Coronapandemie war für MissPompadour "ein natürlicher Wachstumsboost", so Reintjes. "Wir haben sicherlich drei Jahre gewonnen." Messenger sind der wichtigste Kundenkanal für das junge Unternehmen. Es nutzt vor allem WhatsApp, aber auch Instagram Nachricht, Facebook Messenger, Telegram. 50 Prozent der kompletten Konversation laufen über Messenger, der Rest über Telefon, E-Mail und Social Media.

Erik Reintjes, CEO und Co-Founder, MissPompadour (Bild: Misspompadour)
Bild: Misspompadour
Erik Reintjes, CEO und Co-Founder, MissPompadour

Die Wahl des Kommunikationskanals hängt dabei stark vom Thema ab, das die KundInnen umtreibt. "Bei Reklamationen wollen die Menschen 'Seriosität' und greifen eher zum Telefon, um vielleicht auch mal verbal Dampf abzulassen. Eine Mail schreiben sie, wenn sie Rechtssicherheit haben wollen. Etwa, wenn wir eine Reklamation nicht annehmen, weil das Produkt falsch genutzt wurde. WhatsApp bietet dagegen diese locker-flockige Beratung, da schreibt man schnell mal hin. Über den Messenger läuft der normale Kundenkontakt", so Reintjes.

15 KundenberaterInnen sind montags bis samstags von 9 bis 21 Uhr für die vorwiegend weiblichen KundInnen erreichbar, beraten im direkten Messenger-Dialog rund um Farben und DIYProjekte und stellen auf Wunsch schon den Warenkorb zusammen, der dann im Chat über einen Link direkt zum Checkout führt. So generiert MissPompadour schon 30 Prozent seines Umsatzes über WhatsApp. Hier sind auch die Warenkörbe 15 bis 20 Prozent größer als im Onlineshop. "Das liegt auch am Upsale, die Beraterinnen empfehlen ja auch den Pinsel und die Farbrolle zur Farbdose", so Reintjes. "Wir rechnen damit, dass die Conversionrate bei rund 50 bis 55 Prozent liegt, was schon sehr stark ist im Vergleich zum normalen Shop." Ein Ziel sei es, die Menschen noch früher in den eigenen Kanal zu holen, über "eine gute Kundenberatung, die mit Leidenschaft und Spaß bei der Sache ist."

Rund 500 Anfragen am Tag bearbeiten die KundenberaterInnen, die übrigens aus der eigenen DIY-affinen Facebook-Community rekrutiert werden. "Wir haben den Anspruch, so schnell wie möglich zu antworten, das erwarten die KundInnen in der Messenger-Kommunikation. Am besten in den ersten ein bis zwei Stunden,
danach werden die Leute ungeduldig"
, so Erik Reintjes. MissPompadour erreiche so auch die ImpulskäuferInnen, die sich spontan zu einem DIY-Projekt entscheiden.

Der Chatbot darf nur begrüßen und sonntags vertrösten


Die KundInnen melden sich mit ihren Fragen und Projekten von morgens bis abends, sehr oft am Sonntag oder auch Samstagabend. Viele bestellen auch am Montagmorgen aus dem Büro. Dann auch am PC, während ansonsten die Mobilnutzung deutlich überwiegt. Einen Chatbot setzt MissPompadour nur zur Begrüßung und am Sonntag ein, wenn der Kundenservice nicht besetzt ist. "Das ist der Nachteil von WhatsApp: Die KundInnen ziehen oft keine Linie zwischen Professionalität und Privatem. Manche sind nicht so begeistert, wenn sie am Sonntag keine Antwort erhalten. Da muss man aufpassen und dann mit Bots arbeiten, die erklären, dass die Anfrage am Montag bearbeitet wird. Das nimmt einem dann auch keiner übel." Manche KundInnen schicken auch Sprachnachrichten. Hier bittet das Unternehmen dann um eine schriftliche Fortsetzung des Dialogs, weil sich die Informationen dann intern besser verwerten und managen lassen.

Ein weiterer Vorteil: Durch die intensive Beratung liegt die Retourenquote bei unter einem Prozent. "Wir investieren lieber die zwei bis drei Stunden in die Beratung, als die Hälfte der Pakete zurück zu bekommen. Dies wäre ein viel höherer Kostenaufwand." Manche KundInnen berät MissPompadour bis zu vier Wochen, andere brauchen zwei bis drei Tage oder auch nur Minuten, um sich zu entscheiden. "Im Durchschnitt haben wir drei bis fünf Kontakte mit jedem Kunden, bevor er oder sie kauft", so Reintjes. Der persönliche und menschliche Kontakt ist deshalb immens wichtig.

Viel Inhouse-Knowhow nötig


MissPompadour verwendet die Whats-App Business API und arbeitet mit MessengerPeople zusammen. Aber das Team hat auch viel eigenes Know-how aufgebaut. "Alles, was mit dem Thema Warenkörbe und Check-out zusammenhängt, programmieren wir lieber selbst, weil wir es dann perfekt auf unser Shopsystem und das Checkout-System anpassen können. Fremde Lösungen wären uns da zu gefährlich." Shopbetreiber wie Shopify bieten inzwischen entsprechende Systeme, die das vereinfachen. Einige große bekannte Händler verschicken zudem über WhatsApp Newsletter an die KundInnen. "Diese Funktion war Jahre gesperrt, aber wurde von WhatsApp 2021 wieder freigegeben. Das ist für viele sehr interessant und bei diesen Systemen werden die Dienstleister immer stärker", so Reintjes. Die Investition zahlt sich aus, so der Startup-Gründer. "Die API ist mit rund 500 bis 1.000 Euro im Monat recht kostengünstig, aber wir haben mit 15 Festangestellten einen recht hohen Personalkostenblock." Der sich aber in Summe lohne.

MissPompadour war erst das zweite Unternehmen in Deutschland, das die Business-Anwendung installiert hat, damals noch nicht mal als API. Dann kam ein Anruf von WhatsApp aus Kalifornien, die wissen wollten, wie das Startup den Chat als Saleskanal nutzt. "Für uns war das ja logisch. Doch WhatsApp wurde nie mit der Intention gebaut, Sales zu generieren. Das haben sie bis heute auch noch nicht wirklich gut umgesetzt", kritisiert Reintjes. Unternehmen müssen deshalb selber technische Lösungen finden oder Dienstleister dazu holen.

Die Community in die eigene App holen


Messengerdienste sind Reintjes zufolge geeignet für beratungsintensive Produkte, sowohl im B2C- aber auch im B2BBereich. "Denn auch Handwerker haben immer ihr Handy dabei und wollen vielleicht mal schnell etwas nachbestellen." Auch für Mode oder hochpreisige Produkte sieht er Potenzial. "Das ist eine Frage der Marge und wie viel es dem Unternehmen wert ist, den Sale mitzunehmen."

Viele Unternehmen bieten rund um ihre Produkte oder Dienstleistungen zusätzlich zur Website auch eigene Support-Apps an, entweder innerhalb von Messenger-Diensten oder als eigenständige App. Auch MissPompadour bietet eine solche App. Sie enthält die komplette Content-Bibliothek rund um die Beratung, mit Videos und Texten. Auch einen App-basierten Shop gibt es, nicht nur eine Duplizierung des Webshops. "Das hat den Vorteil, dass hier die Warenkörbe nochmal größer sind, weil die Kunden schon in unserem Kosmos sind und wir über Push-Nachrichten direkt mit ihnen kommunizieren können."

Auch Gimmicks, wie eine Farbberatung mit Augmented Reality oder eine Pipette zum Scannen der Farben, gibt es. "Außerdem wollen wir verstärkt unsere Community in die App holen, im Juni haben wir den ersten Teil gelauncht." Und das obwohl MissPompadour schon eine große und sehr aktive Facebook-Community hat. "Wir versuchen uns etwas mehr aus dem Meta-Kosmos zu entfernen und unsere App zum Social-Media-Kanal für DIY auszubauen. Wir wollen nicht abhängig sein von Unternehmen in den USA, die jederzeit den Schalter umlegen können."

 (Bild: Misspompadour)
Bild: Misspompadour

Datenschatz für strategische Entscheidungen


Die Kundenberatung über Messengerdienste verschafft dem Unternehmen zudem einen großen Datenschatz. "Wir nutzen eine Wissensbasis, in die alle Informationen reinfließen, die wir interessant finden." Auf Basis dieser Informationen fallen strategische Entscheidungen über neue Produkte, Farbtöne und Entwicklungen.

Der Datenschutz gibt klare Regeln, ein Thema, für das WhatsApp durchaus oft in der Kritik stand. MissPompadour darf KundInnen nicht aktiv anschreiben, wie bei Mails ist ein Double-opt-in nötig. Wenn der Kunde oder die Kundin das Unternehmen aber über eine API anschreibt, ist das datenschutzkonform. "Da gibt es keinen Unterschied mehr zu klassischen Newsletter-Systemen", so Reinjes. "Man sollte sich keine Telefonlisten besorgen und Menschen illegal kontaktieren. Aber wenn der Kunde die Firma anschreibt, dann gibt es kein Problem."

Ein weiterer Schatz, von dem MissPompadour profitiert, ist der User Generated Content, den die KundInnen im Messenger posten. Etwa Vorher-Nachher-Bilder, die das Startup dann auch für andere Kanäle verwenden kann. "Wir fragen, ob wir die Inhalte innerhalb der Kundenberatung nutzen können oder auch für andere Social-Media-Kanäle. Wenn die KundInnen nein sagen, dann löschen wir diese Inhalte einfach. Von 150 Leuten sagen 148 Ja."

Die Zukunft von Conversational Commerce


Noch steht Conversational Commerce hierzulande am Anfang, in Ländern wie China ist der Verkauf über Messenger schon deutlich verbreiteter. Dass die Unternehmen in Europa hier noch ein Stücke Weg vor sich haben, belegt die Studie 'Conversational Business 2022' der Hochschule Aalen, für die Firmen in
Deutschland, Großbritannien und den USA genauer unter die Lupe genommen wurden.

Die Ergebnisse zeigen, dass es vielen getesteten Kundenservices, die mit Chatbots, Live-Chats oder Messengern arbeiten, noch an der Antwortqualität oder auch Empathie mangelt, um wirklich hilfreich zu sein. Auf manche Fragen kam gar keine Antwort oder nur sehr verspätet. Vor allem die Automation über Chatbots schneidet im Vergleich zur menschlichen Beratung deutlich schlechter ab. Gerade, wenn es um den Verkauf geht, werden deshalb Messenger an Bedeutung gewinnen, so die Prognose der Forscher. Für die Zukunft von Conversational Commerce sei außerdem wichtig, dass eine gesicherte Check-out-Option innerhalb des Chats für noch mehr Bequemlichkeit sorgt. Eine Option für eine Kaufabwicklung direkt im Chat bietet etwa bereits Apple Business Chat. Was Payment-Funktionen in Messengern angeht, wie WhatsApp Pay, sind VerbraucherInnen allerdings noch skeptisch, wie Umfragen zeigen.

In Deutschland scheuen sich jedoch noch viele Firmen davor, den Kanal für den Sales zu nutzen, weil der Aufwand für Conversational Commerce laut Erik Reintjes doch "recht hoch ist". Für sein Unternehmen MissPompadour lohnen sich die hohen Personalkosten jedoch. "Denn man nimmt das Unpersönliche aus dem E-Commerce. Viele Onlinekunden, die noch unsicher sind, gehen dann doch lieber in das stationäre Geschäft. Oder sie bestellen etwas und schicken es zurück. Genau dies umgehen wir mit der Beratung über WhatsApp."