Nachrichten aus dem Versandhandel
 (Bild: Jens P. Raak / Pixabay)
Bild: Jens P. Raak / Pixabay

Pflichttermin Jahresinventur: Was Retailer beachten müssen

16.03.2023 - "The same procedure as every year" - dieser Satz wird von vielen wohl zuerst immer noch mit dem Silvester-Sketch "Dinner for one" in Verbindung gebracht. Doch er trifft ebenso für das Ende des Geschäftsjahres und die damit einhergehende Inventur zu - und das unabhängig davon, ob das Geschäftsjahr eines Unternehmens mit dem Kalenderjahr endet oder das Unternehmen ein versetztes Geschäftsjahr hat. Für Unternehmen, die bilanzieren, ist die Jahresinventur ein wichtiger Pflichttermin. Was dabei zu beachten ist, erläutert Mario Schnurr von der Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung Schultze & Braun.

von Susan Rönisch

Eine ordnungsgemäße Inventur ist Bestandteil einer korrekten Buchführung. Da Jahresabschlüsse auf den Inventurangaben basieren, sollten bei der alle (Geschäfts-)Jahre wiederkehrenden Bestandsaufnahme immer auch steuerliche Aspekte im Fokus stehen. Denn erfolgt die Buchführung nicht ordnungsgemäß - etwa mit einer fehlerhaften Inventur - kann das Finanzamt den Gewinn des Unternehmens teilweise oder vollständig schätzen. Fakt ist also: Wird eine Inventur fehlerhaft durchgeführt, führt das in der Regel zu finanziellen Nachteilen und zu Mehraufwand für das Unternehmen. Doch worauf kommt es bei einer Inventur an? Was sollten Unternehmen beachten, um mögliche Nachteile zu vermeiden?

Zunächst einmal ist es so, dass bei einer Inventur eine Überprüfung der Mengen und der angesetzten Werte möglich sein muss. Notwendig sind über jeden Posten im Inventar folgende Angaben:

  • die Menge (Maß, Zahl, Gewicht)
  • die verständliche Bezeichnung der Vermögensgegenstände (Art, Größe, Artikel-Nummer)
  • der Wert der Maßeinheit.

Körperliche Bestandsaufnahme

Um einen Jahresabschluss aufstellen zu können, ist es entscheidend, die vorhandenen Vermögensgegenstände im Rahmen einer Inventarerfassung abzubilden. Gerade die Erfassung des sogenannten Vorratsvermögens (dazu gehören Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, unfertige und fertige Erzeugnisse sowie Waren) erfordert in den meisten Fällen eine sogenannte körperliche Bestandsaufnahme - also eine Inventur vor Ort. Zwar kann das Vorratsvermögen auch mit Hilfe auf Basis von anerkannten Stichproben ermittelt werden - das ist aber nur möglich, wenn das Ergebnis dann dem einer körperlichen Bestandsaufnahme gleichkommt.
Eine Inventur kann unter bestimmten Voraussetzungen auch als sogenannte Gruppenbewertung oder als Festwert erfolgen. Dabei können - wenn es den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht - gleichartige (bewegliche) Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens jeweils zu einer Gruppe zusammengefasst und bewertet werden.

Festwerte mit Voraussetzungen

Bei den Festwerten können Vermögensgegenstände des Sachanlagevermögens sowie bestimmte Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe mit einem gleichbleibenden Wert angesetzt werden. Dies funktioniert nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Die Vermögensgegenstände müssen regelmäßig ersetzt werden, zudem darf ihr Bestand in seiner Größe, seinem Wert und seiner Zusammensetzung nur geringen Veränderungen unterliegen und ihr Gesamtwert für das Unternehmen von nachrangiger Bedeutung sein. Diese Art der Bewertung kommt etwa bei Werkzeugen oder Verpackungsmaterial in Betracht. Vorteilhaft ist insoweit, dass die durch Festwerte erfassten Gegenstände nur an jedem dritten Bilanzstichtag aufzunehmen sind.

Zeitnahe, zeitverschobene oder permanente Inventur

Grundsätzlich hat eine ordnungsgemäße Bestandsaufnahme am Bilanzstichtag oder innerhalb von zehn Tagen davor oder danach zu erfolgen. Ist dies der Fall, handelt es sich um eine zeitnahe Inventur. Bestandsveränderungen zwischen dem Tag der Bestandsaufnahme und dem Bilanzstichtag sind bei dieser Methode unbedingt zu berücksichtigen.

Die körperliche Bestandsaufnahme kann aber auch an einem Tag innerhalb der letzten drei Monate vor oder der ersten zwei Monate nach dem Bilanzstichtag erfolgen. Bei einer solchen zeitverschobenen Inventur muss jedoch durch ein Fortschreibungs- oder Rückrechnungsverfahren die ordnungsmäßige Bewertung zum Bilanzstichtag sichergestellt sein. Eine permanente Inventur liegt vor, wenn der Bestand für den Bilanzstichtag nach Art und Menge anhand von Lagerbüchern festgestellt werden kann - beispielsweise anhand einer EDV-unterstützten Lagerverwaltung. Hierfür ist jedoch mindestens einmal im Geschäftsjahr der Buchbestand durch eine körperliche Bestandsaufnahme zu überprüfen. Auch wird eine permanente Inventur von den Finanzbehörden bei Unternehmen in der Regel nicht anerkannt, wenn diese Vermögensgegenstände einen hohen Wert haben, einem hohen Schwund unterliegen oder es bei ihnen hohe Mengendifferenzen gibt.

Nachweis der Vollständigkeit

Unabdingbar ist, dass das Bestandsverzeichnis des Inventars den Nachweis ermöglicht, dass die Vermögensgegenstände vollständig aufgenommen wurden. Ebenso gehört dazu, dass auch Hilfs- und Betriebsstoffe (etwa Fahrzeugkraftstoff) und Verpackungsmaterial aufgenommen werden - gerade dann, wenn es sich entweder um bemerkenswert hohe Werte handelt oder wenn die Bestände an den Bilanzstichtagen deutlich schwanken. Ferner muss aus den Inventurunterlagen erkennbar sein, wie die Bewertung von unfertigen und fertigen Erzeugnissen erfolgt ist. Das bedeutet, dass die Ermittlung der (anteiligen) Anschaffungs- und Herstellungskosten nachweisbar zu belegen ist. Bei unfertigen Erzeugnissen sollte auch der Fertigstellungsgrad angegeben werden. "Schwimmende Waren" - das sind Waren, die auf dem Weg zu einem Kunden sind - müssen genauso bestandsmäßig erfasst werden, wenn sie wirtschaftlich zum Vermögen des bilanzierenden Unternehmens gehören. Zum Beispiel ist eine solche Erfassung durch den Auslieferungsschein möglich. Als Eigenbestand sind auch Waren zu erfassen, die Kunden als Kommissionswaren überlassen worden sind. Kommissionswaren im eigenen Unternehmen wiederum sind nicht als Eigenbestand aufzunehmen - sie stellen schließlich keine unternehmenseigenen Waren dar.

Wenn eigene Waren in Räumen lagern, die nicht dem oder zum Unternehmen gehören - zum Beispiel bei Spediteuren - muss das bilanzierende Unternehmen eine Bestandsaufnahme des entsprechenden Lagerhalters anfordern. Zu beachten ist außerdem, dass zum Umfang einer Inventur auch minderwertige und wertlose Waren gehören. Auch diese sind bestandsmäßig aufzunehmen und entsprechend zu bewerten, die Bewertung kann dabei aber durchaus auch 0 Euro betragen.

Bewegliches Anlagevermögen

In das Bestandsverzeichnis müssen grundsätzlich auch sämtliche beweglichen Gegenstände des Anlagevermögens aufgenommen werden - auch, wenn sie bereits abgeschrieben sind. Auf eine körperliche Bestandsaufnahme kann verzichtet werden, wenn ein besonderes Anlagenverzeichnis (Anlagekartei) geführt wird.

Wichtig ist jedoch, dass darin laufend jeder Zu- und Abgang einzutragen ist. Wirtschaftsgüter von geringerem Wert, die sofort abgeschrieben wurden, müssen in einem besonderen Verzeichnis beziehungsweise auf einem separaten Konto erfasst werden, das ebenfalls laufend geführt wird, wenn die Anschaffungs- und/oder Herstellungskosten mehr als 250Euro und nicht mehr als 800 Euro betragen. Im Anlagenverzeichnis sind Leasinggegenstände nur im Ausnahmefall zu erfassen, wenn sie dem Leasingnehmer zuzurechnen sind.

Schulden und Verbindlichkeiten

Sämtliche Forderungen und Verbindlichkeiten müssen bei einer Inventur ebenfalls aufgenommen werden - in Form von Saldenlisten für Schuldner und Gläubiger. Auch sind Besitz- und Schuldwechsel einzeln zu erfassen. Wichtig ist hier, dass die Saldenlisten anhand der Kontokorrentkonten getrennt nach Forderungen und Verbindlichkeiten aufgestellt werden.

Die Durchführung

Die vorhandenen Vermögensgegenstände werden bei der körperlichen Inventur physisch aufgenommen. Inventurteams sollten für die jeweiligen Aufnahmeorte (zum Beispiel Lager oder Verkaufsräume) mit jeweils einem Zähler und einem Schreiber gebildet werden. Für die Bestandsaufnahme gilt vor allem:

  • Die Aufnahme der Bestände erfolgt in örtlicher Reihenfolge ihrer Lagerung.
  • Aufgenommene Bestände sind zu kennzeichnen.
  • Während der Bestandsaufnahme dürfen keine Materialbewegungen vorgenommen werden.
  • Die aufgenommenen Gegenstände müssen eindeutig bezeichnet werden (bei Bedarf durch Materialnummer oder Kurzbezeichnung).
  • Mengen und Mengeneinheit sind anzugeben.
  • Inventurlisten und Unterlagen sind durchzunummerieren und vom Zähler und Schreiber zu unterzeichnen.
  • Korrekturen während oder nach der Inventur müssen abgezeichnet werden.
  • Aufzeichnungen können auch auf Datenträgern geführt werden.
  • Inventur-Unterlagen sind zehn Jahre aufzubewahren.

Kontrollmöglichkeit

Einwandfrei nachprüfbar muss die Bewertung sein. Dafür muss die Ware beispielsweise nach Qualität, Größe oder Maß genau bezeichnet werden. Falls erforderlich, sind außerdem Hinweise auf Einkaufsrechnungen, Lieferanten- oder Kalkulationsunterlagen anzubringen, soweit dies aus der Artikelbezeichnung oder der Artikelnummer nicht ohne Weiteres ersichtlich ist. Wird eine Wertminderung (zum Beispiel eine Teilwertabschreibung) geltend gemacht, sind dazugehörend Grund und Höhe nachzuweisen.

Wenn Unternehmen diese Punkte bei ihrer Inventur berücksichtigen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese ordnungsgemäß abläuft und sie die Basis für eine ordnungsgemäße Buchführung sowie einen ordentlichen Jahresabschluss bildet. Unabhängig davon, wann das Geschäftsjahr endet.


Über den Autor: Mario Schnurr ist Diplom-Betriebswirt (BA) und Steuerberater bei Schultze & Braun . Zu seinen Spezialgebieten gehört unter anderem der Online-Handel. Für Unternehmen aus diesem Bereich ist er als Berater zertifiziert.