Analysen und Hintergrundrecherchen für die Versandhandelsbranche
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Wie Versender während der Pandemie besser kommunizieren

30.04.2020 - Die immer noch anhaltenden Ausgangsbeschränkungen schaffen besondere Sorgen und Bedürfnisse. Wie Shopbetreiber in diesen Zeiten ihre Kunden am besten abholen.

von Diana Versteege

Onlineshops verschicken derzeit massenhaft diese Art von Nachrichten: "Wir schaffen das gemeinsam. Miteinander, Füreinander. Wir sind für dich da." In der E-Mail folgt dann eine lange Erklärung, wie besorgt die Shopbetreiber sind. Bis ins Detail erklären sie, wie sie ihr Personal schützen. Und, dass der Onlineshop ganz normal erreichbar ist, Und, dass sie mit Hochdruck daran arbeiten, auch wirklich jede Bestellung zu versenden. Die ganz Kreativen packen noch einen Gutscheincode oder kostenlose Lieferung mit rein.

Das Problem an dieser Art der Krisenkommunikation ist, so warnen Experten: Eine "Wir schaffen das gemeinsam"-Argumentation kann als nervtötende Massenwerbung herüberkommen und tröstet Kunden nicht wirklich. Wir zeigen, wie es besser geht.

Der Kunde tickt jetzt anders

Auch wenn der Onlinehandel gerade boomt, haben viele Produkte (bis auf wenige Ausnahmen) momentan keine Priorität beim Kunden. Menschen kaufen Desinfektionsmittel und horten Toilettenpapier, um ihre grundlegendsten Bedürfnisse zu erfüllen, weil sie sich sicher fühlen wollen.


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Um die Psychologie dahinter besser zu verstehen, nehmen Sie die Maslowsche Bedürfnishierarchie zur Hand. Diese Motivationstheorie umfasst ein fünfstufiges Modell menschlicher Bedürfnisse, die oft als hierarchische Ebenen innerhalb einer Pyramide dargestellt werden: physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, Soziale- und Individual-Bedürfnisse sowie die Selbstverwirklichung.

Auf welcher der fünf klassischen Ebenen befinden sich Kunden momentan? Versuchen Sie zu verstehen, in welchem mentalen Zustand sie sich befinden. Es kommt jetzt mehr denn je darauf an, die Gefühle der Kunden noch besser wahrzunehmen, sich in ihre Lage zu versetzen und absolutes Verständnis zu zeigen. Ein Großteil der Kommunikation besteht darin, Menschen Sicherheit und ein Gefühl von Zugehörigkeit zu vermitteln und sie zu beruhigen. Sobald diese grundlegenden Bedürfnisse erfüllt sind, kann sich der Schwerpunkt Ihrer Kommunikation wieder verändern.

Marketing-Strategie anpassen

Herkömmliche Marketingkonzepte waren schon vor Jahren nicht mehr in der Lage, die heutige Herausforderung zu meistern. Wer überleben will, muss radikal umdenken. Dies bedeutet nicht: Wir sitzen jetzt alle im Home-Office und machen so weiter wie bisher.


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Wer Produkte verkauft, die gerade jetzt von essenzieller Bedeutung sind, sollte nach Möglichkeit sein Marketingbudget aufstocken und die Priorität auf den Verkauf legen. Produkte von essenzieller Bedeutung sind die Produkte, die der Kunde jetzt braucht, um sein Leben in der häuslichen Umgebung zu gestalten. Zum Beispiel: Bücher, Spiele, Sport- und Fitnessgeräte, Elektronik, Heimwerken & Garten, Wellness. Kurz: Alles, womit man sich zu Hause wohlfühlt, gesund und fit hält.

Wer Produkte verkauft, die nicht von essenzieller Bedeutung sind, sollte den Fokus dagegen auf Top-Of-Funnel Aktivitäten legen. Bringen Sie potentielle Kunden dazu, sich in Ihre EMail-Liste einzutragen. Stellen Sie die Stärkung der Community in den Vordergrund und versuchen Sie nicht, den Umsatz zu maximieren. Vorrangige Priorität hat hier der Mensch, die Familie. Freundlichkeit zählt. Großzügigkeit ist wichtig. Zuversicht und Sicherheit fördern. Alles andere ist momentan nur Lärm. 12 Praxistipps dazu:

  1. Entscheiden Sie, welcher Content priorisiert werden soll. Wenn Sie sich noch nicht sicher sind, dann pausieren Sie zunächst erstmal.

  2. Informieren Sie Kunden proaktiv über das weitere Vorgehen, aber verbreiten Sie keine Panik.

  3. Der beste Weg, um mit Ihrer Community zu kommunizieren? Fragen Sie sie genau, was sie von Ihnen hören möchten. Storytelling ist oft das Mittel der Wahl.


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  5. Tauschen Sie das Bildmaterial aus. Vermeiden Sie Bilder oder Videos, die Menschenmassen zeigen, oder Menschen, die sich berühren.

  6. Achten Sie auf die Wortwahl. Covid-Schnäppchen, Rabattcodes mit "COVID19" oder "Coronavirus" sind absolut fehl am Platz. Die Wortwahl repräsentiert Ihre Marke, auch wenn es darum geht, sensible Inhalte zu vermitteln.

  7. Überprüfen Sie sämtliche Inhalte bei bestehenden Automatisierungen im EMail-Marketing. Achten Sie auch hier auf die Wortwahl. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die aber Kunden verunsichern oder verärgern könnten.

  8. Erstellen Sie Content, der zu einer unmittelbaren Interaktion ermutigt.

  9. Setzen Sie Ihre Inhalte in den richtigen Kontext. Es geht mehr denn je um den Kontext, denn er ist das Bindeglied zwischen Content und Leser.

  10. Werden Sie persönlich und authentisch. Glaubwürdig. Einzigartig, Ehrlich. Offen. Je besser dies gelingt, desto besser können Menschen sich mit Ihnen verbinden. Alles andere ist lediglich der Versuch, Beziehungen zu erzwingen, die gar nicht existieren.

  11. Nutzen Sie Employee Generated Content (EGC). Fast jeder Mitarbeiter nutzt einen oder mehrere Kanäle zur persönlichen Kommunikation. Mitarbeiter sind oft vertrauenswürdige Insider und haben die besten Einblicke in die Organisation. Das Publikum vertraut ihren Gedanken und Einsichten oft mehr als der Chef-Ebene, der Werbung oder anderen Formen des Marketings.

  12. Definieren Sie, wenn nötig, Ihre Kernbotschaft und die Inhalte neu. Starke Marken grenzen sich ab und erreichen damit einen überdurchschnittlichen Wirkungsgrad, erzielen eine hohe Kundenbindung und dadurch automatisch bessere Margen. Sie sichern sich dadurch den Erfolg des Unternehmens.

  13. Fokussieren Sie Bestandskunden. Mit Bestandskunden kann das schnellste Umsatzwachstum für ein Unternehmen generiert werden. Sie haben eine Conversionrate, die bis zu sieben Mal höher ist als die von Erstkunden. Nutzen Sie hierfür das E-Mail Marketing.

Psychologie in Krisenzeiten

Vier psychologische Modelle und deren Wirkungsweise, um zu verstehen, wie Ihre Kunden funktionieren und Sie so deren Verhalten zweckmäßig beeinflussen können.

Risk Aversion

Menschen sind in der Regel nicht sehr risikofreudig und reagieren auf unterschiedliche Art und Weise auf Risiken. Die Theorie besagt, dass bei der Wahl zwischen mehreren Alternativen gleichen Erwartungswerts stets die Alternative mit dem geringeren Risiko hinsichtlich des Ergebnisses - und damit auch dem geringstmöglichen Verlust - bevorzugt wird.

Jeder Ihrer Kunden hat eine der nachfolgenden drei Einstellungen gegenüber Risiko und Sie müssen bestimmen, zu welcher Risikogruppe sie gehören, damit Sie auf die richtige Art und Weise kommunizieren.

  • Risikoscheu
    Diese Menschen hassen das Risiko und sie werden alles dafür tun, um Risiken zu vermeiden. Geben Sie diesen Menschen mehr Sicherheit und Vertrauen. Bieten Sie Garantien, die über das übliche Maß hinausgehen. Versenden Sie keine irrelevanten Nachrichten, die diese Kunden beunruhigen könnten. Erklären Sie, wie sicher Ihr Produkt ist und fügen Sie Testimonials hinzu. Fokussieren Sie sich auf den Wert statt auf den Preis.

  • Risikoneutral
    Die Menschen dieser Gruppe sind sich nicht wirklich sicher, ob sie Risiken mögen oder nicht, oder sie denken einfach nicht genug darüber nach, um sich Sorgen zu machen. Konzentrieren Sie sich auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Kunden und kommunizieren Sie auch hier die Werte. Wer in dieser Gruppe Garantien, kostenlosen Versand oder andere Techniken zu Risikominimierung nutzt, stiftet wahrscheinlich mehr Schaden als Nutzen.

  • Risikofreudig
    Erzwingen Sie das Risiko, wenn Ihre Kunden zu dieser Gruppe gehören und risikofreudig sind. Es sind die Menschen, die es lieben, an die eigenen Grenzen zu gehen oder gerne riskante Aktionen unternehmen. Konzentrieren Sie sich hier auf den risikoreichen Charakter des Produkts oder der Dienstleistung. Fokussieren Sie sich auf den langfristigen Wert. Vermeiden Sie allerdings den Begriff Risiko, denn es interessiert diesen Kunden einfach nicht.

Community Bias - Belonging Bias

Der Mensch als soziales Wesen hat das erhebliche Bedürfnis, Teil einer Community zu sein. Wir sind auf soziale Verbindungen angewiesen. Sie können dieses Zusammengehörigkeitsgefühl fördern und die Gemeinschaft als eine Möglichkeit nutzen, um Kunden dazu zu bringen, wiederzukommen und sie fester an Ihr Unternehmen zu binden.

Verbinden Sie sich mit ihrer Community und kreieren Sie dieses Gefühl von Zugehörigkeit. Versenden Sie regelmäßig E-Mails an bestehende Kunden, damit sie sich verbunden fühlen. Nutzen Sie Testimonials, wo das Gemeinschaftsgefühl vermittelt wird.

Lipstick Effect

Während die Wirtschaft in der Weltfinanzkrise, in 2008, viele Umsatzeinbußen hinnehmen musste, verzeichnete L'Oreal , eines der größten Kosmetikunternehmen der Welt, ein Umsatzwachstum von 5,3 Prozent. Obwohl die Verbraucherausgaben in der Regel in wirtschaftlichen Rezessionen zurückgehen, haben einige Beobachter festgestellt, dass Rezessionen die Ausgaben von Frauen für Schönheitsprodukte zu erhöhen scheinen - der sogenannte Lipstick-Effect .

Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass dieses Phänomen durch den Wunsch von Frauen angetrieben wird, ihre Attraktivität zu steigern. In Zeiten des Mangels wollen Frauen unbewusst attraktiver werden und so entstehen andere Konsumentscheidungen. Lippenstift steigert das Selbstwertgefühl und verbessert sogar die Leistungsfähigkeit .

Mere Exposure Effect

Menschen mögen gerne das, was sie häufig sehen und hören. Omnipräsenz ist das Stichwort. Gerade in Krisenzeiten ist es deshalb wichtig, diesen Effekt zu nutzen. Denn ohne eine allgegenwärtige Präsenz werden jegliche Bemühungen, Kunden ein Produkt zu verkaufen, scheitern.

Dieser Effekt kann innerhalb der Kommunikation deshalb sehr gut beim Branding eingesetzt werden oder wenn Sie den Abverkauf für ein neues oder bestimmtes Produkt steigern möchten. Mehrmalige Wiederholungen werden mittelfristig dazu führen, dass Ihre Kunden das beworbene Produkt oder die Botschaft positiver wahrnehmen. Doch Ihre Nachrichten müssen neutral oder positiv für den Empfänger sein, sonst kann sich dies nachteilig auf die Marke auswirken.

Keiner von uns hat diese Krise vorherkommen sehen. Starre Organisationsformen, Strukturen und Strategien werden automatisch aufgelöst.

Hoffen auf ein Wunder ist keine Option. Legen Sie deshalb den Fokus auf Chancen. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit werden zum Erfolgsfaktor. Bereiten Sie sich auf morgen vor, damit Sie in einer Post-Corona-Welt die neuen Verhaltensweisen und Erwartungen der Zielgruppe gut erfüllen können.

Erwähnte Unternehmen

cogentoa.com  loreal.com  researchgate.net  wikipedia.de