Nachrichten aus dem Versandhandel

Pinterest: Mehr Hype als Phänomen

von Stephan Meixner

20.02.2012 - Facebook war gestern, Pinterest ist heute: Dieser Eindruck verfestigt sich jedenfalls schnell, wenn man in diesen Tagen durch die Blogosphäre surft. So spricht aktuell kaum jemand noch darüber, wie sich 20 Mio. aktive Facebook-Mitglieder in Deutschland für Online-Händler monetarisieren lassen. Warum auch? Schließlich gilt nun das US-Portal Pinterest als das kommende Social-Commerce-Phänomen.

Worauf aber basiert dieser Hype? Am Ansatz der Plattform selbst kann es eigentlich kaum liegen, denn wirklich revolutionär ist das Konzept von Pinterest nun wirklich nicht :
Pinterest ist ein soziales Netzwerk, in dem Nutzer Bilder-Kollektionen mit Beschreibungen an virtuelle Pinnwände heften können. Diese können öffentlich oder privat abgespeichert werden. Die Idee hinter Pinterest ist der gemeinsame Austausch über verschiedene Hobbys, Interessen und Einkaufstipps mithilfe virtueller Pinnwände. Pinterest wird von einem Team aus Palo Alto geleitet.
Zum Vergleich: Das US-Portal Fashiolista zielt in eine ähnliche Richtung , auch das Münchner Start-Up Stylight verfolgt einen vergleichbaren Ansatz . Pinterest ist damit zunächst nur ein weiteres Empfehlungsportal, auf dem Nutzer beispielsweise Produktfotos aus Online-Shops erneut veröffentlichen und einer Community präsentieren können.
Dennoch wächst das Portal spürbar, wie Traffic-Zahlen von Google Trends nahelegen . Als Grund dafür nennen viele Internetnutzer, dass sich Pinterest schlichtweg einfach und angenehm nutzen lässt :
Das Geniale an Pinterest ist u.a. die ansprechende Optik, die Wirkung der Fotos und Videos auf der Seite und die Einfachheit, Inhalte zu entdecken und weiterzuempfehlen sowie sie mithilfe von "Boards" zu organisieren. Es sind bei solchen Web-Diensten eben auch die Kleinigkeiten, die einen Unterschied machen. Denn am Ende geht es auch um den Aufwand der Nutzung.
Doch ist das wirklich so? Ich kann diese Auffassung nicht ganz teilen. Ein Beispiel: Sobald man sich anmeldet, muss man einige Interessen verraten (z.B. Kochen, Reisen, Lesen). Anschließend bekomme ich verschiedene Nutzer vorgeschlagen, die zu diesen Themen bereits Inhalte auf Pinterest veröffentlicht haben und damit für mich interessant sein sollten:
Ich darf aber nicht selbst wählen, von welchem dieser Nutzer ich künftig neue Postings sehen möchte - denn Pinterest abonniert automatisch alle Inhalte für mich:
Ebenfalls durchwachsen ist das Social-Sharing-Konzept: Wer Bilder von Dritten einfach auf einer Web-2.0-Plattform veröffentlicht, verletzt damit das Urheberrecht. Pinterest versucht diesen Fallstrick zu umschiffen, indem Bilder nicht direkt auf der Plattform eingebunden werden, sondern von fremden Servern abgerufen werden. Nach Einschätzung von Rechtsanwalt Carsten Ulbricht lassen sich Probleme mit dem Urheberrecht für Nutzer dennoch nicht ausschließen . Allerdings räumt er auch ein, dass das Risiko eher gering ist - schließlich sei noch kein Nutzer solcher Sammeldienste bisher in Anspruch genommen worden .
Eigentlich sollten sich Online-Händler auch darüber freuen, wenn Kunden schon von sich aus über ihre Produkte sprechen und Artikelfotos auf Pinterest veröffentlichen. Problematisch könnte es allerdings werden, wenn Kunden offizielle Herstellerfotos auf Pinterest verbreiten (gut vorstellbar, dass Marken hier weniger relaxt reagieren). Unabhängig von rechtlichen Aspekten stellt sich aber spätestens hier die entscheidende Frage: Warum sollten Nutzer überhaupt Fotos von Produkten auf Pinterest veröffentlichen?
Viele Händler haben jedenfalls bereits schmerzhaft bei F-Commerce-Aktivitäten erfahren müssen, dass Nutzer vor allem "virale" Produkte im Social Web thematisieren (Gadgets, Superschnäppchen, Gruppenangebote). Warum sollte das bei Pinterest plötzlich anders sein? Dass Nutzer eventuell einmal für Pins über Affiliate-Links entlohnt werden, macht es auch nicht besser. Bezahlte Links killen jede Community - schließlich empfiehlt mir jemand Artikel, um etwas zu verdienen und nicht um mir zu helfen.
Als Vorteil von Pinterest gilt zudem, dass sich Nutzer über die verschiedensten Themen in Boards unterhalten können. Aber seien wird doch ehrlich: Wer etwa eine Hochzeit planen will , ist bei einem Nischenportal wie Hochzeitsplaza besser aufgehoben. Nicht zuletzt, da es dort auch bereits eine starke deutschsprachige Community gibt. Auch SEO-technisch dürften spezialisierte Angebote im Vorteil sein.
Vielleicht mag Pinterest hierzulande ja tatsächlich bedeutender als Twitter werden. Eine Auszeichnung ist das aber nicht. Denn bei gerade einmal einer halben Million aktiver Twitterati in Deutschland ist die Relevanz des Micro-Blogging-Dienstes für die meisten Händler ebenfalls überschaubar.
Mein Fazit: Dass Pinterest die digitale Avantgarde begeistert , kann ich verstehen. Dass Pinterest ein Massenphänomen wird, bezweifle allerdings auch ich - lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.

Erwähnte Unternehmen

focus.de  google.de  hochzeitsplaza.de  kaithrun.de  leanderwattig.de  lumma.de  pinterest.com  rechtzweinull.de  socialmediatoday.com  videoshoppingdays.de  webevangelisten.de  wikipedia.de